Ein Leseparadies für einen Sommer
Wettbewerbsbeitrag für das Festival »Genève, Villes et Champs« in Zusammenarbeit mit Hager Partner AG, Zürich
Auf einer ehemaligen Mülldeponie, nun ein kleines Paradies mit Wildrosen und Brombeerranken, soll die alte Kulturtechnik des Lesens in der freien Natur à la Rousseau ermöglicht werden… Lesebank, Leihbibliothek, prall gefüllt mit ausgewählter Literatur zu Gärten und Landschaft, und genug Schatten stehen von Juni bis Oktober 2014 zur Verfügung. Und auf einem Blog können Besucher und Besucherinnen ihre Eindrücke festhalten: http://paradis-de-lecture.net/
Eine langsame Änderung der Wahrnehmung oder Die Kunst der kleinen Eingriffe
Nur ein Briefkasten macht auf die Lücke in der Weidenhecke an der Route de Pré-Marais aufmerksam. Einmal drinnen, verschwindet der Zugang hinter Büschen. Der Weg führt auf eine Lichtung, aus der die angrenzende, disperse Bebauung kaum mehr wahrnehmbar ist, der Jura aber schon. Auf den ersten Blick eine ganz normale Wiese, bei näherer Betrachtung feine Unterschiede in der Zusammensetzung der Gräser und Kräuter, am Rande etwas Gebüsch, gewachsen, wild anmutend, aber nicht ungepflegt. – Was als unberührte Natur erscheint, ist ein Stück Brache am Stadtrand, entstanden aus einer immer wieder aufgefüllten Deponiegrube. Das angrenzende Gewerbegebäude wirkt aus einer gewissen Perspektive wie ein Tempel in den Bergen von Sizilien. Ferienidyll vor der Haustüre.
Eine der benachbarten Bäckereien streut jeden Morgen altes Brot den Vögeln neben die Vogeltränke, dass diese sich noch wohler fühlen. Das Gezwitscher ist lauter als die Autobahn, die sich aus der Ferne wie ein Fluss vernimmt. Ein schmaler Fussweg führt in den rückwärtigen Gartenteil. Am Wegesende bietet eine schattenspendende Laube aus grossen Weidensteckhölzern einen Schattenplatz mit Sitzbank, von wo aus die Natur in ihren vielfältigen Wahrnehmungsformen überblickt werden kann.
Neben der Sitzbank steht eine Bücherkiste mit einer gut sortierten Auswahl an Büchern zu Gartengeschichte, Gartengestaltung, zu Begegnungen, Gefühlen, Abenteuern und Geheimnissen in Gärten, von Salomon Gessners “Idyllen”(1756) über Karel Capeks “Das Jahr des Gärtners” (1932) bis zu Jenny Erpenbecks “Heimsuchung” (2006). (…) Die Wahrnehmung auf die ehemalige Brache verändert sich allmählich, sie wird mehr und mehr als Idylle wahrgenommen. (Guido Hager, Barbara Piatti)